43 KIRCHENFENSTER
Gesamtkonzept
2007-2017

Kirche auf dem Damm, Duisburg-Meiderich

 

Ein einmaliges Raumerlebnis im Farbenspiel des Tages
Dr. Sarah Sandfort, Kunsthistorikerin

Mit der Gestaltung von 43 Kirchenfenstern und drei Rosetten hat die Züricher Künstlerin Romi Fischer nach elf Jahren unermüdlicher Arbeit ein wahres Großprojekt bewältigt. 2006 wurde ihr Vorschlag für die Ausstattung der evangelischen Kirche Mittelmeiderich in Duisburg bei einem internationalen Wettbewerb ausgewählt. Besonders überzeugt hat Romi Fischers Idee eines Raumerlebnisses: Der Kirchenraum wird durch farbige Fenster und das von außen eindringende Licht in einen künstlichen und ästhetischen Widerschein des Tages getaucht.
Mundgeblasenes Echtantikglas ist das von Romi Fischer ausgewählte und einzig richtige Material, um überzeugende Farbigkeit in den Kirchenraum zu bringen. Dabei ist die den Tagesablauf aufgreifende Gestaltung dem religiösen Schöpfungsgedanken verpflichtet: Die Chorfenster im Osten verkünden in Königsblau und feinem Rot den neuen Morgen, den Beginn des Tages. Der zeitlich-narrative Ablauf vollzieht sich über den Mittag in Lichtgelb sowie feinen Türkis- und Blaunuancen hin zu kräftigen und dunklen Rottönen, die für die Abendstimmung im Westen stehen. Auf diese Weise verändern die Fenster je nach Tages- und Jahreszeit die Erscheinung des an sich beständigen Kirchenraums.
Die Kunst der Glasmalerei steht in einer langen Tradition, der sich Romi Fischer bewusst ist. Dies zeigt beispielsweise ihre Verwendung von mundgeblasenem Echtantikglas in Zusammenarbeit mit Traditionsfirmen wie der Glashütte Lamberts in Waldsassen oder den Werkstätten für Glasmalerei Hein Derix in Kevelaer. Erst durch die sorgfältige Auswahl und fachkundige Umsetzung dieser Gläser wird der Blick in der Raumerfahrung des Farbenspiels vom Großen zum Kleinen gelenkt und die Aufmerksamkeit von der Gesamtschau auf die Oberfläche und Struktur der einzelnen Gläser gezogen: Kleine Bläschen und eine zufällig-unregelmäßige Oberflächenstruktur machen jedes Glas einzigartig und verändern immer wieder die Perspektive.
Neben dieser Anbindung an die Tradition ist Romi Fischers neue Position im Kontext der Glaskunst zu betonen: Die Künstlerin hat in die Struktur der horizontalen Profileisen ganze Glasscheiben eingesetzt, die farblich verbunden sind und somit einen Farbverlauf über das gesamte Fenster erzeugen. Auf diese Weise wirken die Kirchenfenster in Mittelmeiderich hell und großzügig. Romi Fischer betont, dass sie bewusst über das konventionelle Glasbild in Kirchen hinausgehen wollte – und erreicht insbesondere durch die großflächige Gestaltung ihr Ziel. Damit fügt sie der seit dem Zweiten Weltkrieg (und beispielsweise an das Bauhaus anschließenden) vielfach ausgeführten Gestaltung von Kirchenfenstern in abstrakt-geometrischer oder ornamentaler, kleinteiliger und mosaikartiger Strukturierung eine neue Facette hinzu: Die Farbflächen der Fenster scheinen entgrenzt, sie stellen ein künstlerisches und ästhetisches Widerspiel des Lichts im natürlichen Tagesablauf dar und verzichten auf Symbole, Ornamente oder textliche Narrative. Aufgrund der farblichen Bildkomposition, die die Künstlerin einsetzt, entsteht Bewegung in den statischen Objekten, wenn intensive Farben gegen helle Flächen mal nach oben oder unten streben.
Romi Fischers Glasgestaltung vollendet die Architektur des Kirchenraums: Unter der achtsäuligen Holzkuppel des neogotischen Gebäudes entsteht ein Farb-Licht-Raum, der im Zusammenhang mit dem natürlichen Lichteinfall immer wieder neu und anders erscheint und somit ein einmaliges Erlebnis im Farbenspiel des Tages ermöglicht.

 

Ein außergewöhnliches und einzigartiges Projekt für die Glasmalereiwerkstätten Hein Derix aus Kevelaer
Jörg Derix, Chef Glaswerkstatt

Als ich 2006 zum ersten Mal die Kirche in Mittelmeiderich besuchte, war mir nicht bewusst, welche Aufgabe uns hier erwarten würde.
Der Innenbereich der Kirche war eine große Baustelle, die Kirchenbänke waren im Dachstuhl verstaut, der Fußboden aufgerissen und die Wände bis auf die Grundmauern freigelegt. Die zahlreichen Fenster waren mit sehr schlichten, in Weiß-und Grautönen gehaltenen Bleiverglasungen ausgestattet. Die Kirche machte einen sehr trostlosen Eindruck. Das Ziel der Kirchengemeinde und des Fördervereins pro doMMo, die Kirche wieder in einen Raum zu verwandeln, der die Besucher zum Verweilen einlädt, hielt ich zum damaligen Zeitpunkt für sehr ambitioniert. Als dann in einem internationalem Wettbewerb die Künstlerin Romi Fischer aus Zürich, die zuvor noch nie Kirchenfenster gestaltet hatte, sich mit ihrem Konzept für die neue Gestaltung der Fenster durchsetzte, war meine Skepsis nicht unbedingt kleiner geworden, aber meine Neugier war geweckt.
Das Konzept für die Kirchenfenster war eine Komposition aus Farbabläufen für jedes einzelne Fenster, die dann in ihrer Gesamtheit den Schöpfungsverlauf des Tages darstellen sollten. In den ersten Gesprächen mit Romi Fischer stellte ich schnell fest, wie intensiv sie sich mit unserem Werkstoff Glas schon auseinander gesetzt hatte und welche Idee ihrer Gestaltung zu Grunde lag. Die Fenster sollten keine traditionelle Bleiverglasung erhalten und die Gläser auch nicht mit anderen Techniken bearbeitet werden. Ihr Konzept sah vor die Farbabläufe in den einzelnen Fenstern nur durch verschieden farbige mundgeblasene Echt-Antikgläser, die in 3 bis 4 Schichten voreinander gestellt werden sollten, zu verwirklichen. Unsere erste Herausforderung bestand darin eine Schutzverglasung für die Fenster herzustellen, die aus einem Verbund aus weißem Echt-Antikglas und Floatglas bestehen sollte. Nach vielen anfänglichen Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung konnte diese einzigartige Schutzverglasung in allen Fenstern im Jahre 2008 eingesetzt werden. Nun begann die intensive Arbeit an der farbigen Gestaltung der Fenster. Ein Modell der Kirche im Maßstab 1:10 wurde angefertigt und jedes Fenster entsprechend dem Farbkonzept mit Gläsern bestückt. So konnten wir die Wirkung der einzelnen farbigen Gläser aufeinander und deren Einfluss auf den gesamten Kirchenraum abstimmen.
Die eigentliche Arbeit an den Fenstern begann im Jahre 2011 und sollte in mehrere Bauabschnitte aufgeteilt 7 Jahre dauern. 43 Fenster mit insgesamt über 500 Einzelverglasungen und jede davon bestehend aus 2- 3 Farbgläsern. Die Glashütte Lamberts in Waldsassen lieferte die unterschiedlich farbigen Gläser und wir begannen zusammen mit der Künstlerin die Farbabläufe der Fenster festzulegen. Erst jetzt wurde uns bewusst, welche Mammutaufgabe vor uns lag. Alle Gläser für ein Fenster wurden in unserem 10 m hohen Ausstellungsraum aufgestellt und immer wieder mussten Gläser getauscht werden, um am Ende einen harmonischen Farbablauf zu erzielen. Frau Fischer war über mehrere Wochen im Jahr bei uns zu Gast und während dieser Zeit wurde sie zu einem Teil unserer Werkstatt. Noch nie zuvor war eine Zusammenarbeit zwischen Künstler und Glaswerkstatt so intensiv. Einen großen Anteil an der Umsetzung hat unser Werkstattleiter Herr Janßen, der in der ganzen Zeit Frau Fischer zur Seite stand und mit seinem Fachwissen so manches Problem bewältigen konnte.
Die sehr intensive und manchmal auch aufreibende Zusammenarbeit hat mit der Fertigstellung aller Fenster im Jahr 2017 ihren guten Abschluss gefunden.
Dieses außergewöhnliche und weltweit einzigartige Projekt hat dazu geführt, dass die Besucher der Kirche einen Raum vorfinden, der durch sein gläsernes Farbenspiel, welches sich je nach Tages- und Jahreszeit immer wieder verändert, zum Verweilen einlädt. Immer wieder unterschiedliche Lichtreflexionen auf Wänden und Fussböden zeigen dem Betrachter, wie lebendig farbiges Glas sein kann. Ein sehr berühmter Glaskünstler sagte mir mal: „Ein guter Künstler bezieht immer die Wirkung seines Fensters auf den gesamten Raum mit ein!“
Dies ist in der Kirche Mittelmeiderich in herausragender Weise verwirklicht worden.
Die durchweg positive Resonanz auf die Wirkung der Kirchenfenster zeigt mir, dass sich die großen Bemühungen von Frau Fischer und allen Beteiligen gelohnt haben, und macht mich und unsere Werkstatt auch ein bisschen stolz, daran mitgewirkt zu haben.