IMAGO MUNDI Stahlskulpturen und Bilder 1997

Im gesamten Kirchenraum der Salvatorkirche Duisburg

IMAGO MUNDI – Weltbild

Dr. Söke Dinkla, Direktorin Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg

Es ist gewiss kein Zufall, dass die Schweizer Künstlerin Romi Fischer eine besondere Affinität zum Niederrhein entwickelt hat. Bereits 1995 arbeitete sie zusammen mit einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern im Kunstlabor ArToll in der Nähe von Kleve und heute haben wir die Gelegenheit, hier in Duisburg einen umfassenden Komplex ihres Werkes zu sehen. Ihren berühmten Kollegen vom Niederrhein Hans Mataré und Joseph Beuys steht Romi Fischer insofern nahe, als sich in ihrem Werk Modernität und Geistigkeit auf ungewöhnliche Art miteinander verbinden.
Romi Fischer wurde 1950 in Zürich geboren. Nachdem sie dort ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst beendet hatte, widmete sie sich einer umfassenden Bestandesaufnahme der sie umgebenden Wirklichkeit. Vor allem die Dokumentarfotografie diente ihr dazu, ihren Verstand und ihre Wahrnehmung so zu schärfen, dass sich die gesammelten Eindrücke schließlich zu einem ganz eigenen Menschenbild verdichteten. Seit etwa 10 Jahren arbeitet sie nun als Malerin und Plastikerin. Gleichzeitig geht sie aber mit ihrem Werk über die Grenzen dieser Gattungen hinaus. Denn ihre Bilder sind weit mehr als Bilder an der Wand und ihre Skulpturen sind ohne den sie umgebenden Raum nicht denkbar. Romi Fischers Skulpturen sind Interventionen, Eingriffe in den Raum, die ihn gleichzeitig ausdehnen und wahrnehmbar machen: ihr faszinierendes Spiel mit Licht und Schatten bezieht den umgebenden Raum unmittelbar als Teil des Werkes ein. Und auch das Verhältnis zwischen Materialität und Durchlässigkeit stellt kontinuierlich den Kontakt mit der Architektur her.
Auf ungewöhnliche Weise kombiniert Romi Fischer ganz gegensätzliche Materialen: Armiereisen – ein profanes Material, das wir nur von der Baustelle kennen – und Bronze – eine Metall-Legierung, die fast ausschließlich in der Kunst Verwendung findet. Die so eingeführte Gegensätzlichkeit und ihre Harmonisierung werden wir durch Fischers gesamtes Werk verfolgen können. Romi Fischer gehört zu den wenigen Künstlern, die heute noch den Mut haben, existentielle, ganz grundsätzliche Fragen zu stellen, die alle Menschen betreffen. Dass sie auf diese Fragen nicht immer ganz eindeutige Antworten liefert, gerade darin liegt der größte Reiz ihrer Arbeiten. Trotz dieser grundsätzlichen Offenheit gelingt es ihren Werken allerdings immer, einen universalistischen Blick auf die Welt zu eröffnen:
So z. B. in der Skulpturenanordnung „Contra»: Hier sind Fragmente menschlicher Körper in ein komplexes System von Gittern gewissermaßen wie in Käfige eingespannt. Die Figuren haben etwas Verletzliches. Ihre Körper sind nicht intakt. Sie verzichten auf jede Gestik und damit auch auf die Möglichkeit, eine Geschichte von sich zu erzählen. Und doch teilen sie sehr viel mit: sie weisen mit ihrer bloßen Existenz über das Individuelle, über das ganz Persönliche hinaus und machen klar, dass der heutige Mensch sich nur als Fragment, als Teil eines größeren Ganzen wahrnehmen kann.
Romi Fischer formuliert so ein Menschenbild, das dem Lebensgefühl der heutigen Zeit entspricht. Trotz aller technischen Fortschritte bezweifeln wir heute immer mehr, dass das technisch Machbare auch sinnvoll und wünschenswert ist. Der Mensch als so genannter „Herr der Schöpfung» hat sich nicht zuletzt durch seinen Raubbau an der Natur nachhaltig in Misskredit gebracht. Romi Fischer zeichnet in ihrem Werk ein Bild von einem Menschen, der sich seiner eigenen Begrenztheit bewusst ist. Ihre schmalen Figuren sind immer an den umgebenden Raum gebunden, genauer: sie sind in ihn eingebunden. Das wird deutlich in der Arbeit „IN EO»: obwohl der menschliche Torso hier vergleichsweise frei im Raum schwebt, bleibt er dennoch eingefasst in das Drahtgitter des Würfels, der hier die umgebende Welt symbolisiert.
Genau gegenüber sehen wir einen Globus, der auf fast schmerzhafte Weise zeigt, wie sehr wir Teil dieser Welt sind: denn die bronzenen Fragmente, die den Globus umspannen, stellen sich beim näheren Hinsehen als menschliche Körperteile dar. Diese schon fast martialische Art, den menschlichen Körper zunächst zu zerteilen, um ihn dann an die Welt zurück zu binden, verstört zutiefst. Romi Fischer macht in ihren Arbeiten menschliche Gegensätze aufs Deutlichste bewusst. Sie inszeniert diese Gegensätze jedoch so, dass sie zunächst als unversöhnlich erscheinen, um dann letztlich doch eine Allianz miteinander einzugehen. Dass diese Allianz allerdings äußerst zerbrechlich ist, werden Sie selbst sicher gleich feststellen, wenn Sie sich zwischen den fragilen Konstellationen bewegen. Spätestens dann wird auch klar, dass die Skulpturen Romi Fischers keine Großplastiken sind, die durch ihre Monumentalität überwältigen, sondern vielmehr Raumkonstellationen oder besser: Raumzustände, die sich mit der Wahrnehmung der Betrachter verändern.
In einem ständigen Prozess der Veränderung befindet sich auch das Material der Skulpturen: die Bronze besitzt bereits eine natürliche Patina und der Stahl weist in den meisten Arbeiten deutliche Spuren von Rost auf. Die Skulpturen besitzen also bereits eine Geschichte und sie befinden sich zugleich in einem lebendigen Prozess der permanenten Wandlung.
Das Unfertige, das Fragmentarische spielt in den Arbeiten Romi Fischers eine bedeutende Rolle. Erst dadurch wird dem Betrachter die Möglichkeit des Zwiegesprächs mit dem Werk eröffnet. Was mir aber noch wesentlicher erscheint – und hier nähern sich Fischers Arbeiten wieder dem Werk von Beuys und Mataré – das Fragmentarische steht in ihrem Werk für die existentielle Unvollkommenheit des Menschen.
Das archetypische Bild des Ausgesetztseins in der Welt, das in den Skulpturen Romi Fischers immer wieder auftaucht, kennzeichnet auch ihre Gemälde. Hier erkennen wir zum Teil unter vielen Schichten von pastoser Ölfarbe, das Motiv des Torso wieder. Auch hier ist die menschliche Existenz geprägt von Isolation, Eingesperrtsein aber zugleich auch von Schutz. Denn ebenso wie die Käfige, die in der Raumskulptur „Contra» die Torsen umgeben, bieten die zahlreichen Farbschichten in den Gemälden dem Menschen auch Schutz.
Heute werden Künstler oft nach ihren Visionen für die Zukunft gefragt. Würde man Romi Fischer danach fragen, so würde sie vermutlich antworten, dass eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst ist, Fragen zu stellen und Fragen zuzulassen. Solange alles in Bewegung ist, gibt es auch Hoffnung. Meines Erachtens ist es Romi Fischer in ihren Arbeiten nicht nur gelungen, mit großem Gespür die richtigen Fragen zu stellen; es ist ihr auch geglückt, uns den Blick zu schärfen und damit die Aussicht auf eine Heilung des derzeitigen Zustands greifbarer zu machen.