COMPOSITIO Stahlinstallation 2001

Glashalle, Projekt DB Kulturnetz, Duisburg

COMPOSITIO Glashalle, Projekt Kulturnetz der Deutschen Bundesbahn

Dr. Gottlieb Leinz
Wilhelm Lehmbruck Museum
Zentrum Internationaler Skulptur, Duisburg

Die Ausstellung „Compositio» von Romi Fischer (12. Okt. – 28. Dez. 2001) ist eine begehbare Anlage, die großräumig aufgerastert und durch Haupt- und Nebenwege zu erschließen ist.
Wege kreuzen sich zu regelmäßigen Feldern und markieren Orte, an denen wie auf geometrisch exakt eingegrenzten Inseln mit fließenden Horizonten das skulpturale Ereignis stattfindet. Bereits dieses regelmäßige steinerne Fußbodenraster aus schwarzen Bodenstreifen, die weiße Felder einschließen, wie es die große Halle des „Kulturnetzes» aufweist, verweist eindringlich auf jenes seit der Antike geübte Verfahren, der Stadt eine klare Orientierung und eine übersichtliche Struktur zu geben, gemeint ist das sogenannte Hippodamische System der Städteordnung.
In Romi Fischers „Compositio» erleben wir gleichermaßen den Bau und die Bestimmung einer utopischen Stadtplanung, die letztlich das „Sein» mit dem Leben und den Tod mit dem plastischen Körper verbindet. Ein gewaltiger transparenter Turm aus Eisendraht markiert die Plattform dieser „Stadt», es ist das Wahrzeichen und die „Antenne» dieses Ortes, eine auf Fernsicht konstruierte Markierung, von der gleichermaßen die Wirkung eines Leuchtturmes wie eines Denkmals ausgeht. So bildet denn „Compositio» eine „Stadt» für sich. Wege gliedern und umschließen Innenräume, die sich wiederum nach außen abgrenzen. „Dadurch entstehen verschiedene Plätze und Orte», so Romi Fischer, „Verbindungen und Durchgänge. Jeder Ort hat seine eigene Aussage, eine eigene Dimension und Charakteristik, eine ganz bestimmte Funktion im Ganzen und ist nicht ersetzbar.»
Diese Ortsbegehung mit skulpturalen, auf Ergänzung und Kontrast angelegten Fixpunkten beinhaltet gleichzeitig Zustände des menschlichen Lebens zwischen dem „Sein» und der Hoffnung, der Arbeit und dem Tod. Die immer wiederkehrende Zahl 7 (in der Anordnung und Zusammensetzung der skulpturalen Elemente) verweist deutlich auf die ideale Vollkommenheit zwischen Zeit und Raum, Schöpfung und Leben (z. B. die 7 Tage der Woche, 7 Tage der Schöpfung). Die Künstler der Avantgarde, Bildhauer und Architekten wie Theo van Doesburg, Wladimir Tatlin oder Walter Gropius, hatten entscheidend den Begriff der architektonischen Plastik geprägt. Hier und in anderen Beispielen geht es nicht darum, die traditionelle Bauplastik bzw. die Kunst am Bau fortzuführen, vielmehr sollte die eigengesetzliche architektonische Struktur als prägendes künstlerisches Prinzip und Erlebnis auch der Plastik definiert werden. Folgerichtig entstand, wie es Romi Fischer praktiziert, eine Skulptur in strikter Ablehnung von konventionellem Sockel und nachahmender Figuration. Der sich daraus ergebende denkmalhafte und urbane Charakter entstand in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Architektur und der Raumgestaltung. Das Werk entfaltet sich unabhängig von Form und Größe und jenseits aller Zweckhaftigkeit nach den Prinzipien raumplastischer und allansichtiger Wirkung. Der architektonische Maßstab, so zeigen es die Beispiele der klassischen Moderne vom Konstruktivismus bis zu den Rasterelementen der amerikanischen Minimal Art, ist nicht an die Größe gebunden, sondern an die räumliche und bildhafte Wirkung. Diese muß imstande sein, in Material, Farbe und Wahrnehmung modellartig architekturspezifische und gleichzeitig skulpturale Werte vorzugeben, zu imitieren oder anzudeuten.
Der Begriff „architektonische Plastik», der naturgemäß mit Urbanistik und Raumgestaltung parallel gesetzt werden kann, muß offensichtlich für jede Generation neu definiert werden. Dabei ist diese grenzüberschreitende Gattung der Plastik, die sich immer dem Gesamtkunstwerk in der Einheit und Synthese der Künste anzunähern sucht, eine uralte Idee. Schon immer entsprang sie dem Wunsch nach einem neuen Weltbild und einer neuen Ästhetik. Vorbildlich hatte bereits 1922 Theo van Doesburg in der holländischen Avantgarde-Zeitschrift De Stijl gefordert: „Aus der funktionalen Notwendigkeit, die die Einteilung des Raumes bestimmt, wird die architektonische Plastik hervorgehen. Das Innere soll das Äußere gestalten.» Im Verzicht auf „dekorative Wucher» zeige die Konstruktion «eine klare, mit rein architektonischen Mitteln gestaltete Plastik». Die Form der autonomen skulpturalen Konstruktion kann bis heute als Leitgedanke aller architektonischen Plastiken dienen.
Romi Fischers vielteiliges Eisen- und Stahlwerk „Compositio» ‚ für die große Glashalle, Projekt Kulturnetz der Deutschen Bundesbahn in Duisburg entworfen und ausgestellt, sowie in veränderter Gestalt umgewandelt für die Halle der ThyssenKrupp Steel AG, kann hier als weiteres gutes Beispiel dieser Gattung vorgestellt werden. 

(Textauszug)